Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf

Zur Verleihung des Förderstipendiums des Landes Niedersachsen in Oldenburg

In einem Writer’s Manual von Rita Mae Brown, das ich für den Rowohlt Verlag zu begutachten hatte, las ich den Satz: „We are like cowboys, who only sign on until the herd gets to Kansas City.“ Rita Mae Brown hatte dies auf die Arbeitssituation von DrehbuchautorInnen bezogen, aber ihr Bild leuchtete mir sofort auch für meinen übersetzerischen Berufsalltag ein.

Hatte ich mich nicht oft genug im Morgengrauen müde in den Sattel meines Bürostuhls geschwungen, stolz auf die Herde meiner Worte geblickt, eine verirrte Metapher mit dem Lasso eingefangen, widerspenstige Sätze zugeritten und mir beim Rodeo krauser Stile fast die Rippen gebrochen? Hatte ich nicht Tag für Tag krumme Sprachpflöcke eingerammt, Wortgruppen eingezäunt, mich in der Weite der stilistischen Prärie verirrt und manch verworrenen Satz aus den Stromschnellen der Unverständlichkeit gerettet? Nach getaner Arbeit nicht so manche Stunde im Saloon gehockt, um Honorare gepokert, anschließend am Tresen Feuerwasser getrunken und über Viehdiebe, Großgrundbesitzer und andere Ausplünderer geschimpft?

Yes, we are like cowboys – Doch gibt es eine Besonderheit, die uns von Rita Mae Browns DrehbuchautorInnen gründlich unterscheidet: Die Herde hat uns nie gehört, wir haben sie nicht geschaffen, nicht selbst aufgezogen, nicht selbst zusammen gestellt. Nein, sie wird uns bloß anvertraut, in unsere Obhut gegeben, mit dem ausdrücklichen Auftrag, sie zu verwandeln. Wir sollen eine ganz andere Herde aus ihr machen, jedes einzelne Tier in ein neues Fell kleiden, und doch soll jeder, der sie erblickt, noch die alte Herde erkennen. Das ist die Prärie, die wir zu überqueren haben, das ist der weite Weg nach Kansas City, auf dem die größten Gefahren lauern. Tiefe Schluchten dürfen wir nicht mit bequemen Brücken verhängen, schroffe Felsen nicht gefällig runden und wilde Tiere – so verlockend es uns auch erscheinen mag – nicht zu niedlichen Hauskätzchen zähmen. Nein, der ganze wilde Westen soll es sein.

We only sign on to take the herd to Kansas City – Doch erst einmal gilt es, mit der Herde vertraut zu werden. Wir müssen uns einhören: Wie scharren die Hufe der Pferde am Abend? Wie schnauben ihre Nüstern am Morgen? Wir müssen uns einsehen: Wie glänzt das Fell der Tiere in der untergehenden Sonne? Wie wehen ihre Mähnen im Wind? Wir müssen uns einfühlen: Wie drängt die Herde vorwärts? Ungestüm oder zaghaft? All diese Eindrücke nehmen wir auf, stecken sie den Tieren ins Sattelgepäck und bringen sie mit der neuen, alten Herde nach Kansas City.

But we are only cowboys – Wir müssen die Herde so übernehmen, wie sie nun einmal ist. Oft genug finden sich uralte Klepper und schwache Gäule darunter – und so manches flügellahme Pegasus mit hinkenden Beinen und faulen Zähnen. Sie gilt es, mit ebenso großer Sorgfalt voranzutreiben wie die anmutig tänzelnde Lieblingsstute, den feurigen Lieblingshengst.

Je tiefer wir sie alle ins Herz geschlossen haben, desto schmerzlicher wird der Abschied, wenn wir sie endlich heil bis vor die Tore der Stadt geleitet haben. Wir fragen uns bang: Werden die Leute in Kansas City sie auch zu würdigen wissen? Werden sie die Anmut der Tiere verstehen? Ihr Hufscharren richtig deuten? Sie gut behandeln? Sie füttern und striegeln? Und werden sie sich daran erinnern, wer die Herde über die Prärie geführt hat? Oder werden die armen Tiere für Frondienste eingespannt, geschunden oder gar auf dem schnellsten Wege ins Schlachthaus gebracht?

We only sign on until the herd goes to the city – Auf all das haben wir keinen Einfluss. Wir können nur darauf vertrauen, dass die Tiere, für die wir uns gemüht haben, in gute Hände gelangen. Vielleicht wird das eine oder andere von ihnen als Rennpferd Karriere machen? Oder wir erkennen es, dressiert und fein herausgeputzt, auf der Bühne einer Wild-West-Show wieder? Wir wissen es nicht.

Unser Auftrag ist beendet. Wir gehen ins Bankhaus und lassen uns unseren Lohn auszahlen, plaudern mit dem Sheriff und schauen beim Gemischtwarenhändler vorbei. Vielleicht ist ein neuer Hut oder ein neues Schießeisen fällig? Im Saloon kokettieren wir mit den Jungen und Mädels am Tresen, genehmigen uns noch einen und zählen die restlichen Dollar. Werden sie für die beschwerliche Rückreise reichen, bis wir die nächste Herde übernommen und heil in die Stadt gebracht haben?

Ach, und die glitzernden Lichter von Kansas City! Haben wir sie nicht auch immer ein bisschen beneidet, die Asphaltcowboys in ihrem City-Schick, mit ihren feinen Manieren und festen Gehältern? Die Glitterstars in den wichtigen Insider-Saloons mit ihren Shoot-outs auf der großen Bühne … Wäre es nicht schön, für immer dazu zu gehören?

Und haben dann doch immer wieder den Sattel geschultert und sind dankbar zurückgekehrt in die Einsamkeit der weiten Prärie. Haben ihre Stille und Weite genossen, haben uns auf unser Handwerk besonnen und die Freiheit, die das raue Cowboyleben mit sich bringt.

Abends trinken wir Whisky und schauen in die Sterne am weiten Himmel über der Prärie. Ach, wie gut tut es da, wenn sie sich einmal ganz unvermutet in Sterntaler verwandeln. Ich denke an die tiefe, genussvolle Stimme der Werbe-Kollegen: „A warm campfire, a nice cup of coffee and a good smoke …“

All das werde ich mir von meinem Preisgeld gönnen. Eine Verschnaufpause am Lagerfeuer. Zeit, neue Kräfte zu sammeln, die Schönheit der Prärie zu genießen, mich am Widerschein der freundlichen Anerkennung zu wärmen …

Das gut tut! Und dafür danke ich von Herzen!

Cowboy vor Sternenhimmel